Der Heimhof – im Wandel der Zeiten

von LOTHAR KREUTZ

Bericht aus der Jubiläumsausgabe Kulturspiegel 1951/1976

Weit über die Landesgrenzen hinaus ist er bekannt geworden, der Heimhof  im Würgendorfer Ortsteil Wasserscheide. Sein Wahrzeichen ist der 1917 im Jugendstil erbaute, 22 m hohe Heimhofturm. Mit den übrigen Gebäuden des Heimhofs hat er den großen Zeitwandel der letzten 5o Jahre in besonderer Weise erlebt. Eine Fülle geschichtlicher Ereignisse spiegelt sich in den Wandlungen seiner Zweckbestimmung wider. Mag es denn nicht nur die eingesessenen Bürger, sondern auch die vielen Menschen, die im Heimhof heute den kulturellen Mittelpunkt ihres Heimatraumes sehen, interessieren, zu erfahren, wie denn eigentlich die räumlich-bauliche Geschichte des Heimhofs abgelaufen ist.

Wie kam es 1917 zur Errichtung dieses Bauwerkes?
Man schrieb das Jahr 1916. Damals wurden die Erzeugnisse der Dynamitfabrik nur mit eigenen Pferdegespannen über die Landstraßen verfrachtet. 12 bis 15 Tage waren die Fahrzeuge oft unterwegs, auf weiten Touren bis nach Nord- und Süddeutschland. Da brachte ein schicksalhaftes Ereignis Tod und Verderben über die Pferde; bei einer schweren Explosion kamen ihrer achtzehn auf einen Schlag ums Leben; nur sechs konnten aus den zertrümmerten werkseigenen Stallungen gerettet werden. Sofort beschloß man, die Pferdeställe außerhalb des eigentlichen Fabrikgeländes zu errichten. Zwischen Werkstraße, heutiger Heimhofstraße und Hauptstraße fand man geeignetes Gelände, das für einen Quadratmeterpreis von 20 Reichspfennigen von dem Bauer Hermann Becker in Würgendorf erworben wurde. Aus dem teils
sumpfigen, teils mit Dornen und Disteln bestandenen Boden erwuchs bald nach einem Plan des Kölner Architekten Ross der von der Firma Hering in Holzhausen errichtete hufeisenförmige Bau. Sein Südflügel nahm die Pferdeställe, der Nordflügel die Wagenschuppen und der Westflügel die Autogaragen mit Futterkammer und Nebengelasse auf.

Der Heimhofturm — ein Wahrzeichen der Wasserscheide!
Eine Aufgabe eigener Art hatte der Turm zu übernehmen. Er wurde, um im oberen Teil einen Wasservorratsbehälter unterzubringen, damit die Pferde abgestandenes Wasser erhalten konnten. Fremde können es heute gar nicht glauben, daß der Turm einmal der Pferde halber erbaut worden ist. Das Gebäude besitzt ein Mansarden-Etagengeschoß, das  damals als Wohnungen für die Kutscher und Fuhrleute diente.
Eine Hufschmiede und eine Stellmacherei wurden auf dem Nachgelände erbaut. Bis zur Fertigstellung der Stallungen waren die Pferde in einem nahegelegenen provisorisch erbauten Stall untergebracht. Dieser alte Pferdestall blieb noch bis 1939 erhalten, als hier ein Doppelwohnhaus entstand. Noch ein Jahr vorher raste ein Flugzeug bei einem mißglückten Sturzflug in das Stallgebäude.
Durch die Ausweitung des ersten Weltkrieges mußte die Fabrikleitung sich um auswärtige Arbeitskräfte bemühen, die oft von weither aus Schlesien, Hamburg und anderen Großstädten angeworben wurden. Eine Anekdote erzählt von dem Fabrikanten Fritz Klein, Burbach, der als Werber arbeitsdienstverpflichtet war. Auf seiner Werbungsreise nach Arbeitskräften wurde er in Hindenburg in Oberschlesien verhaftet, weil man ihn als Mädchenhändler verdächtigte. Er war dort acht Tage lang, bis zur Aufklärung seines wirklichen Auftrages festgesetzt.
Nun kamen nicht die Pferde, wie es ursprünglich vorgesehen war, in die vorgesehenen Räume, sondern das Stallgebäude wurde zunächst zur Unterbringung und Verpflegung der auswärtigen Arbeitskräfte hergerichtet.

In dieser Zeit entstand der Name Heimhof
Die für die Kutscher vorgesehenen Wohnungen wurden Schlafräume für die Frauen; im West- und Nordflügel schliefen die Männer, und der eigentliche Pferdestall im Südflügel diente als Speisesaal. Die im Westflügel gebaute Futterkammer wurde als Lebensmittelmagazin benutzt, während eine neue noch nicht gebrauchte Düngergrube im Hof zur Lagerung von Kartoffeln und Gemüse diente.
Das Gebäude war mit 600 Arbeitern und Arbeiterinnen belegt. Zu ihrer Betreuung wurde ein Hausmeister eingestellt. Die Frauen unterstanden einer besonderen Leiterin, kurz Heimleiterin genannt. Von hier aus wurde dann später der Name H e i m h of abgeleitet, der heutzutage ein Begriff geworden ist.
Bis zum Ende des ersten Weltkrieges 2918 blieb dieser Zustand erhalten. Der Gebäudekomplex war noch um vier Wohnbaracken erweitert worden. Eine Polizeistation und eine Poststelle fanden hier ebenfalls ihre Unterkunft. Täglich fuhr eine Postkutsche von Burbach zum Heimhof. Unter Leitung von Sanitätsrat Dr. Walter Schmieden wurde ein Krankenhaus mit modernen Einrichtungen und 24 Krankenbetten eingerichtet.

Der Heimhof zwischen zwei Kriegen
Nach dem Kriege änderte sich das Bild sehr rasch. Um eine Anzahl der auswärtigen Arbeitskräfte — sehr viele strebten schnell wieder ihren Heimatorten entgegen — beschäftigen zu können, ging man vom Werk her an die Räumung des Heimhofs. Im Zuge dieser Notstandsarbeiten wurden Dampfkesselanlage, Kücheneinrichtung usw. abgebrochen und im Nordflügel gestapelt. Im Jahre 1919 begann unter der Leitung des bekannten Siegener Architekten Alfred Richter der Wohnungsbau für Angestellte der Dynamitfabrik.
Im Frühjahr 1919 zogen endlich die Pferde in ihre vorgesehenen Ställe ein. Auch die Trinkwasseranlage im Turm fand nun ihre Zweck¬bestimmung in der Wasserversorgung der Tiere. Im Jahre 1922 wurde diese Anlage durch Frosteinwirkung aber zerstört, und weil der Pferdebestand inzwischen schon um eine Anzahl geringer geworden war, nicht wieder in Ordnung gebracht. 1929 war es dann soweit, daß die Pferde endgültig ihren Abschied gaben. Die im Kriege gesammelten Erfahrungen führten dazu, daß nun auch Bahn- und Lkw-Transporte für die Beförderung von Sprengstoffen gesetzlich zugelassen wurden.
Im nunmehr verwaisten Stall richtete sich 1928 eine Feuerwehrgeräteabteilung ein. Die ehemalige Futterkammer wurde vom damaligen freiwilligen Arbeitsdienst bis 1935 als Kleiderkammer benutzt.
1933 verfügte die damalige SA über einen Teil des Nordflügels im heutigen Parketteil des Heimhof-Theaters, und 1937 entstand im ehemaligen Pferdestall im Südflügel ein großer Luftschutzraum mit anschließendem Sanitätsraum.

Nach 1945 . .
In den letzten Monaten des zweiten Weltkrieges glich der Nordflügel einem Warenlager. Auslagerung von der Troisdorfer Zentrale der Dynamit AG und Möbelstücke von Ausgebombten wurden hier untergebracht. U. a. hatte man im Raum des heutigen Heimhof-Theaters einen echten „Spitzweg“ ausgelagert, der einen Wert von DM 80.000,— darstellte, aber bei der Kapitulation von Ausländern sinnlos zerstört wurde. Oberhaupt wußten die Besatzungsmächte 1945 mit diesem Gebäudekomplex sofort etwas anzufangen. So diente im März 1945 der große Luftschutzraum mit seinen Nebenräumen noch als Feldlazarett und wurde bei den Kämpfen um Siegen für die zurückflutenden Zivilflüchtlinge benutzt. Im Herbst 1945 mußten sämtliche Wohnungen des Heimhofs geräumt werden. Die Engländer bauten in der Besatzungszeit das ehemalige SA-Heim zu einer Sergeanten-Messe um. Als 1946 auch das vorüber war, begann dann eigentlich die Zeit, in der der Heimhof als kulturelle Stätte an Bedeutung gewann. Nachdem sich das Leben wieder einigermaßen normalisierte, die Wohnungen im Heimhof und im ganzen Ortsteil Wasserscheide wieder bezogen waren, hatte man auch den Männergesangverein „Heimatliebe“ wieder ins Leben gerufen. Für die Abhaltung der Übungsstunden benutzte man einen notdürftig eingerichteten Raum im Nordflügel. Trotz seiner primitiven Art gab in der Folgezeit ein Wanderkino dort ab und zu Vorstellungen. Auch Lichtbildvorträge trugen dazu bei, wieder einiges Leben in diesen abgelegenen Raum zu bringen.

Vom Heimhofsaal — zum Heimhoftheater!
1951, mit der Gründung des Kulturkreises um die Wasserscheide, begann praktisch eine neue Aera in der bis dahin bewegten und weniger bekannten Geschichte des Heimhofs. Für den Ausbau des Heimhof- Theaters, wie es sich heute zeigt, waren größere Um- und Ausbauten im gesamten unteren Teil des Nordflügels erforderlich. Auch der Männergesangverein „Heimatliebe“ — Werkchor der Dynamit Nobel AG Würgendorf — erhielt eine neue Bleibe. Aus der ehemaligen Futterkammer entstand ein schönes Sängerheim, in das man 1953 einziehen konnte.
Am 18. 4. 1955 verursachte ein durch Kurzschluß entstandener Brand erhebliche innere Schäden an den Kunststoffvertäfelungen des damaligen Heimhofsaales. Doch dank des Mäzenatentums der Dynamit Nobel AG entstand durch ein Foyer-Erweiterungsbau eine neue würdige Kulturstätte — vom Heimhofsaal zum Heimhof-Theater!
Was bringt die Zukunft?
So hat sich in fünf Jahrzehnten der Wandel des Heimhofs vollzogen.
Er hat seiner ursprünglichen Bestimmung manches Schnippchen geschlagen. Seiner vorgesehenen wirtschaftlichen Bedeutung trug er nur wenige Jahre Rechnung. Er erlebte die Folgen zweier unheilvoller Kriege, bis daß er seit nunmehr über 25 Jahren friedlichen Zwecken dienen konnte. Hier an dieser Stelle die Frage zu stellen, ob diese friedliche, kulturelle Stätte in Zukunft noch einmal für andere Zwecke genutzt wird, läßt sich heute nicht beantworten.
Dem Wunsch, daß diese Kulturstätte noch auf lange Sicht erhalten bleiben möge, werden alle die hier ein- und ausgehen, zustimmen im Sinne des Wandspruches von Schiller im Foyer des Heimhof-Theater:
„Alle Kunst ist der Freude gewidmet, und es gibt keine höhere und keine ernsthaftere Aufgabe als die Menschen zu beglücken.“
Der Volksbank Süd-Siegerland in Neunkirchen ist es als hohes Verdienst anzurechnen, daß Sie den Heimhof mit seinem Theater, als eines der schönsten und interessantesten Gebäude des südlichen Siegerlandes, durch die Herausgabe eines Aluminium-Wandbildes, eines Wandtellers und in Form von Porzellanuntersetzer mit einer Ansicht des Heimhofs gewürdigt hat.

Bericht aus der Jubiläumsausgabe
Kulturspiegel
1951/1976
Kulturkreis um die Wasserscheide
Burbach-Haiger
Herausgeber: Kulturkreis um die Wasserscheide e.V.
5909 Burbach (NRW)-6342 Haiger (Hessen)

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