Wie es anfing

VON W. BANKEN

Bericht aus der Jubiläumsausgabe Kulturspiegel 1951/1976

Da lag einiges in der Luft, als man 1951 schrieb. Die Erinnerung an 1945 war noch stark und an vielen Orten spürbar lebendig. Zwar hatte die Währungsreform 1948 den Wagen der Wirtschaft wieder in Gang gebracht, und drei Jahre danach fuhr er schon ganz schön. Aber nachdem alle Löcher im Dach geflickt und wir wieder genug zu essen hatten, rührte es sich im „Überbau“: das noch unbefriedigte Bedürfnis nach Kultur. Als 1950 Rene Deltgen in Betzdorf den Mephisto und Albert Bassermann in Weidenau in Ibsens „Gespenstern“ spielte (Bassermann starb 1952), da waren das nachhaltig wirkende Ereignisse und neue Maßstäbe. Die Ostwand der Bismarckhalle war noch nicht wieder zugemauert und nur durch Plane abgedeckt, durch die es auf die Tribüne zog. Aber was machte das schon! Man fuhr mit holzgasgetriebenen Autos hin und spürte zum ersten Mal den erregenden Atem eines weltweiten kulturellen Zusammenhangs. Die Neugier nach Theater, Konzert und Information lag in der Luft.
Damals hatte man Hunger nach Kultur und kein Geld. Heute haben wir Geld.
In diese Atmosphäre von Erwartung und Weltoffenheit hinein brachte dann Robert Auchter seinen zündenden Funken (Sprengstoff war ja da). Er hatte die Idee, „interessierte Kreise zu einer unverbindlichen Besprechung am 20. 9. 1951 — 2o Uhr — in das Hotel Wasserscheide in Würgendorf“ einzuladen. So einfach war das. „Von dem Bestreben geleitet“, schrieb Standesbeamter Müldner in seiner klassisch schönen Handschrift im Protokoll weiter, „kulturelle Errungenschaften zu pflegen und zu fördern und dieses wertvolle Gut allen Bevölkerungskreisen zugänglich zu machen, so daß auch auf dem Land in kultureller Beziehung das erreicht werden kann, was in Städten bereits besteht und als gegeben hingenommen wird und gemeinsam das zu tun, was hier und in den umliegenden Ortschaften fast gänzlich fehlt“ (Niederschrift vom 20. 9. 51).
Man höre und staune:
Es kamen über 120 Personen. 86 davon trugen sich als Gründungswillige in eine Liste ein. Amtsbürgermeister Hermann Schmidt aus Burbach und Bürgermeister Erich Panzer aus Haiger sprachen davon, wie notwendig eine solche Kulturgemeinde sei. Auchter hatte auch schon einen Theatersaal anzubieten. Die Dynamit-AG hatte „sich in anerkennenswerter Weise bereit erklärt, in ihrem Grundstück ‚Heimhof‘ das an der Ostseite gelegene Gebäude im Erdgeschoß entsprechend auszubauen“ (Protokoll) — „Vom Pferdestall zum Musentempel!“ (Das stand nicht im Protokoll.) Auchters Einfallsreichtum gipfelte schließlich darin, daß er an diesem Abend auch noch „etwas Kulturelles“ bot, gleichsam Vorgeschmack von Wort und Ton: Redakteur und Vetter Zimmermann aus Zürich, „zufällig“ anwesend, las aus dem „Fähnlein der sieben Aufgerechten“ von Gottfr. Keller, und Banken spielte das As-Dur-Impromptu von Schubert. Das Klavier war noch vor dem Krieg gestimmt worden. Müldner, der Chronist: „wurden von den Anwesenden sehr beifällig aufgenommen“. Ganz zum Schluß schlug Auchter vor, der Dynamit-AG Würgendorf, vertreten durch Direktor Seiffarth, den Schirmschutz über das nun gründungsreife Kind, das noch keinen Namen hatte, anzutragen. Alles in allem: man war angetan, stellenweise begeistert. Jedenfalls sollten nun große Dinge kommen. Und sie kamen.
Einen Monat später, am 25. 10. 1951 wird der Kulturkreis nun regelrecht gegründet, mit Rechtsanwalt (Dr. Harr) und Satzung. Lange konnte man sich nicht über seinen Namen einigen. Er sollte nicht auf Gemeindegebiete begrenzt sein und zugleich das benachbarte Haiger mit Umland einschließen. Die Vokabel „Kalteiche“, die einige Zeit im Gespräch war, wurde schließlich verworfen. „Kalteiche“ sei zu wenig einladend, eben zu kalt. Dann folgte man dem Vorschlag des Gastes aus Zürich: „Kulturkreis um die Wasserscheide“. Die Zustimmung war spontan. Vorstand und Beiräte wurden gewählt. Auchter wurde Erster Vorsitzender. (Wer denn sonst?)
So hatte es angefangen. Inzwischen drehte sich das Rad weiter. Drei Wochen später, am 17. 11., übergab Generaldirektor Gajewski aus Troisdorf, oberster Chef auch der Dynamit-AG Würgendorf, den „Heimhofsaal“ (erst ab 1955 „Heimhoftheater“) der Öffentlichkeit:
„ der goldene Käfig der Einsamkeit“. Und dann fing es wirklich an. Am 20. 11. 1951 gastierte die Österreichische Landesbühne Wien mit Goldonis „Diener zweier Herren“ (Max Reinhardt-Inszenierung) im Heimhofsaal. Es war ein großartiger Abend. Alle empfanden das, alle spürten, daß in diesem Raum um die Wasserscheide etwas Neues geschehen war. Manche hatten das Bewußtsein, daß nach Krieg und Zusammenbruch, nach kultureller Abschnürung und Isolierung, daß wir nach all dem wieder mit dabeisein durften, bei der ganzen und großen und reichen abendländischen Kultur.
Wie es zu diesem Abend gekommen war, hat eine Vorgeschichte. Kulturgemeinde Weidenau, Geschäftsführerin Elisabeth Köhne, hatte diesen Termin mit den Wienern bereits festgemacht, konnte ihn jedoch wegen einsetzender Umbauarbeiten an der Bismarckhalle nicht abnehmen. Hilfeheischend bat sie Auchter, er möge für die Kulturgemeinde Weidenau einspringen und den „Goldoni“ nehmen. Es sei kein Reinfall möglich.
Der Kulturkreis sprang ein, ohne Zittern, aber mit erheblichem Risikobewußtsein. („Wenn das gutgeht!“)
Es ging gut.
Bereits 14 Tage später gab Wilhelm Strientz zusammen mit dem MGV „Heimatliebe“, Werkchor der DAG Würgendorf, das erste Konzert im Heimhof. Ja, so fing es an. Aber was steht dahinter an Wagnis, Einfall und organisatorischem Neuland! Gewiß, ein moderner Saal begünstigte die junge Einrichtung. Die Ungunst aber des nur mehrere hundert Einwohner zählenden Ortsteils Würgendorf/Wasserscheide und seine verkehrsmäßige Abgelegenheit am „Dreiländereck“, mußten zu völlig neu einzurichtenden Gewohnheiten führen, den weitaus größten Teil der Besucher aus mehr als zehn Ortschaften durch Zubringerbusse heranzufahren.
Ein ganzes System von korporativen Mitgliedschaften von Gemeinden, Ämtern, Städten, von Vereinen und Firmen hat das „Fähnlein der 120 Aufrechten“ von der Gründung her ständig wachsen lassen. Ein Jahr später schon, am    20. 9. 1952, waren es schon 204, im Herbst 1953 bereits 30o Mitglieder.

Wie so etwas anfängt!

Bericht aus der Jubiläumsausgabe Kulturspiegel 1951/1976
Kulturkreis um die Wasserscheide Burbach-Haiger
Herausgeber: Kulturkreis um die Wasserscheide e.V.
5909 Burbach (NRW)-6342 Haiger (Hessen)

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